Eine in der gesamten Westschweiz durchgeführte Studie zeigt, dass bei energetischen Sanierungen in Wohngebäuden Fragen zur Qualität der Raumluft nicht ausreichend berücksichtigt werden. Ihre Autoren, hauptsächlich von der EPFL und der Hochschule für Technik und Architektur Freiburg (HTA-FR), fordern, sich mehr mit dieser Thematik auseinanderzusetzen.
TRANSFORM

Ein Forscherteam der EPFL, der HTA-FR und des Universitätszentrums für Allgemeinmedizin und Öffentliche Gesundheit unisanté hat zusammen mit unabhängigen Experten eine breit angelegte Studie über die Konzentration von Radon, chemischen und biologischen Schadstoffen (flüchtige organische VOC-Verbindungen, Aldehyde, Schimmel) in Niedrig-Energiehäusern in der Westschweiz initiiert. Die Wissenschaftler analysierten die Luftqualität in neuen oder sanierten Wohnungen. Zwischen 2013 und 2016 füllten die Bewohner dieser Wohnungen auf Initiative des Westschweizer Zentrums für Luftqualität und Radon von der HTA-FR, einen Fragebogen zu ihren Lebensgewohnheiten und ihrer Wohnsituation aus. Dabei wurden per Post Mess-Kits in die Haushalte verschickt. Die starke Beteiligung hat zu überzeugenden Ergebnissen geführt. 

Gebäude, deren Fassaden ohne zusätzliche Massnahmen zur Förderung einer guten Lufterneuerung, wie z.B. mechanische Belüftungssysteme, gedämmt worden waren, wiesen die höchsten Konzentrationen an Schadstoffen auf. Die Forscher fordern deshalb die Baufachleute, die zuständigen Behörden und die Bevölkerung auf, der Qualität der Innenraumluft mehr Aufmerksamkeit zu schenken, um eine nachhaltige Qualität der gebauten Umwelt in der Schweiz zu gewährleisten und gesundheitliche Risiken wie Lungenkrebs, Atemweg- und Herzkrankheiten sowie bestimmte Krebsarten zu vermeiden.

Fehlende Regelungen 

Für Radon gibt es in der Schweiz seit 1994 eine Gesetzgebung. Sie wurde 2017 überarbeitet. Für andere Schadstoffe gibt es bisher jedoch keine spezifischen Regelungen. Die Forscher verglichen daher ihre Analysen mit anderen vorhandenen Referenzen. Ihre Ergebnisse waren Gegenstand von vier Publikationen, die zwischen Dezember 2019 und Frühjahr 2020 veröffentlicht wurden. Die jüngste Publikation, die am 14. April 2020 im Indoor Air Journal veröffentlicht wurde, befasst sich mit chemischen Komponenten. Sie zeigt, dass die gemessenen Werte von Formaldehyd (ein Nebenprodukt von Formol in Baumaterialien) alle unter dem von der Weltgesundheitsorganisation, Frankreich und dem Bundesamt für Gesundheit (BAG) empfohlenen Wert liegen. Andererseits weisen sie in 90% der Fälle VOC-Konzentrationen auf, die höher sind als der von der kalifornischen Gesetzgebung (Office of Environment Health Hazard Assessment, OEHHA) empfohlene Wert für chronische Exposition. Die VOC-Gesamtmessungen sind in 8% der Fälle sogar höher als der vom BAG empfohlene Wert von 1000 g/m3 Luft.

Die Forscher konnten zeigen, dass die gemessenen Konzentrationen chemischer Schadstoffe in Gebäuden mit mechanischen Lüftungssystemen im Allgemeinen niedriger waren. Die Experten vermuten, dass die hohen VOC-Werte, die in den zwischen 1950 und 1990 errichteten Gebäuden gemessen wurden, zum Teil auf bestimmte Baumaterialien, das Fehlen mechanischer Belüftung und das Fehlen natürlicher Entweichung von Luft im Zusammenhang mit den neuen Dämmbedingungen nach energetischen Sanierungen zurückzuführen sind. Eine Garage im Innern des Gebäudes ist ein klar identifizierter erschwerender Faktor.

Die erste Publikation vom 4. Dezember 2019 in der Zeitschrift Atmosphere ist dem Thema Radon gewidmet. Nach dreimonatigen Messungen in mehr als 650 Wohnungen stellten die Forscher fest, dass energieeffiziente Neubauten insgesamt niedrigere Radonkonzentrationen aufwiesen als sanierte Gebäude. Zum einen, weil die meisten von ihnen in weniger exponierten Gebieten lagen, und zum anderen, weil sie häufiger mit mechanischen Lüftungssystemen ausgestattet waren als sanierte Gebäude. In einer Stichprobe von 60 sanierten Gebäuden zeigte sich ein Trend zu einem 20%igen Anstieg der Radonwerte im Vergleich zu Messungen vor der Sanierung. Dies zeigt die Wichtigkeit, solche Sanierungen mit einem effizienten Lufterneuerungssystem zu versehen. Zu beachten ist, dass das Vorhandensein von Kellern auf natürlichem Boden in Gebieten, in denen Radon vorhanden ist, ein erschwerender Faktor ist.

Nur Fenster öffnen reicht nicht aus

Eine andere Studie, die Anfang 2020 in Building and Environment veröffentlicht wurde, ergab, dass die Bewohner von sanierten Wohnungen ihre Häuser öfter lüften als die Bewohner von neuen Wohnungen, die ein integriertes Lüftungssystem haben. Für die Forscher beweisen diese Ergebnisse, dass das blosse zufällige Öffnen von Fenstern nicht ausreicht, um eine gute Raumluftqualität zu gewährleisten. Eine letzte Studie, die derzeit veröffentlicht wird, betrifft die Analyse von Schimmel in 149 Wohnungen. Wie beim Radon weisen neue energieeffiziente, mechanisch belüftete Gebäude einen geringeren Grad an Kontamination auf als sanierte Gebäude. Es ist zu beachten, dass Wohnungen in Stadtrandgebieten im Vergleich zu städtischen und ländlichen Gebieten die höchste Prävalenz von sichtbarem Schimmel in der Wohnung sowie die höchste Artenvielfalt aufweisen. Ausserdem stellten die Forscher das Vorhandensein von mehr oder weniger allergieauslösenden und toxischen Spezies fest, je nachdem, ob eine mechanische Belüftung vorhanden ist oder nicht. Lüftungssysteme reduzieren die Gesamtfeuchtigkeit und das Wachstum von Schimmelpilzen.

Zahlreiche Lösungen

Welche Forschungsachsen legen diese Ergebnisse nahe? Für Dusan Licina, Tenure-Track-Assistenzprofessor der EPFL und Mitverfasser der Publikationen, wäre die Entwicklung von intelligenten Fenstern und emissionsarmen Baumaterialien ein Forschungsschwerpunkt. Ebenfalls wichtig für ihn ist die kontinuierliche Überwachung der Raumluftqualität. Joëlle Goyette Pernot, Professorin an der HTA-FR und Mitautorin der Publikationen fordert, dem Thema mehr Aufmerksamkeit zu schenken: Es sei die Aufgabe als Forscher, die Bevölkerung, die Berufsfachleute und die Behörden für dieses Thema zu sensibilisieren. Zu diesem Zweck werde derzeit ein vom BAG und dem Kanton Genf unterstütztes Pilotprojekt ‘Das Westschweizer Beobachtungszentrum für die Luftqualität der Innenräume’ aufgegleist. Ziel dieses Zentrums sei, die Kenntnisse zu erweitern und die wissenschaftliche Zusammenarbeit zu fördern.
Die Forscher sind der Meinung, dass Massnahmen zur Steigerung der Energieeffizienz dem Wohlbefinden und der Gesundheit der Bevölkerung priorisiert werden sollten. Es sei einfach, die Energie- und Kosteneinsparungen nach der Sanierung eines Gebäudes gemäss den aktuellen Standards abzuschätzen, so Dusan Licina. Aber wenn man die Auswirkungen dieser Renovierungen auf die Raumluftqualität vernachlässige, so stehe die Gesundheit der Bewohner auf dem Spiel; diese sei sicher wichtiger als die relativen Gewinne in Form von Energieeinsparungen. Die Baufachleute sollen sich mit diesen beiden Fragen gleichzeitig befassen und sie nicht gegeneinander ausspielen.

Bibliographie
Yang, S.; Perret, V.; Niculita-Hirzel, H.; Hager Jörin, C.; Goyette Pernot, J.; Licina, D. Volatile organic compounds in 169 energy-efficient dwellings in Switzerland. Indoor Air 2020, 00, 1-11

Yang, S.; Goyette Pernot, J.; Hare Jörin, C.; Niculita-Hirzel, H.; Perret, V.; Licina, D. Energy, indoor air quality, occupant behavior, self-reported symptoms and satisfaction in energy-efficient dwellings in Switzerland. Building and Environment 2020, 171, 106618.

Yang, S.; Goyette Pernot, J.; Hager Jörin, C.; Niculita-Hirzel, H.; Perret, V.; Licina, D. Radon Investigation in 650 Energy Efficient Dwellings in Western Switzerland: Impact of Energy Renovation and Building Characteristics, Atmosphere 2019, 10, 777.

Niculita-Hirzel, H.; Yang, S.; Perret, V.; Hager-Jörin, C.; Licina, D.; Goyette Pernot, J. Differences in moulds contamination between naturally and mechanically ventilated energy efficient buildings, International Journal of Environmental Research and Public Health, 2020, (demnächst) 

Mehr Information zum Projekt MESQUALAIR

16. April 2020